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120. Jahrestag: Vor dem 11. September kam der 15. Juni

120. Jahrestag: Vor dem 11. September kam der 15. Juni

Schwabach / New York. Vor 120 Jahren starben über tausend deutschstämmige Einwanderer auf dem Ausflug einer Kirchengemeinde in New York, als das Dampfschiff „General Slocum“ Feuer fing und im East River sank. Sowohl in den USA als auch Deutschland selbst ist dieses Unglück, das das Ende von New Yorks „Little Germany“ besiegelte, aus diversen Gründen (u.a. die Überlagerung durch den „glamouröseren“ Untergang der Titanic und den – durch die Weltkriege befördert – schlechter werdenden Ruf der Deutschen) jedoch in Vergessenheit geraten. Erst die Terroranschläge von „9/11“ spülten es kurzzeitig wieder ins kollektive Bewusstsein, weil man nach etwas suchte, zu dem man das furchtbare Geschehen in Relation setzen konnte: In der Tat handelte es sich bei der „Slocum“-Tragödie bis zum 11. September 2001 um das Ereignis in der Geschichte New Yorks mit den meisten Todesopfern.
Vor dem Hintergrund des historischen Geschehens schrieb US-Autor J.G. Sandom – in Deutschland erstmals mit dem bei Goldmann veröffentlichten Thriller „Kaltes Erwachen“ in Erscheinung getreten – sein erstes Jugendbuch, das historische Ereignisse und spannende Fiktion vermischt. Der Roman ist nun zum 120. Jahrestag der „General Slocum“-Katastrophe erstmals in deutscher Übersetzung durch den am Schwabacher Wolfram-von-Eschenbach-Gymnasium tätigen Lehrer und Autor Jörg Weese erschienen.
Der Übersetzer wurde vor über 20 Jahren als junger Referendar durch einen Dokumentarfilm von Christian Baudissin, den er persönlich kennt und der jetzt auch für ein Vorwort zur deutschen Fassung des Romans gewonnen werden konnte, darauf aufmerksam: Zum Unterrichtsthema „Deutsche Einwanderer in den USA“ gab Baudissin ihm seinen fürs BR-Fernsehen und 3sat produzierten Film „Die Slocum brennt!“ mit. Das Thema hat den Deutsch- und Englischlehrer seither nicht losgelassen – vor allem, weil es ihm unbegreiflich schien, dass kaum jemand etwas von diesem prägenden Stück deutsch-amerikanischer Geschichte weiß. Er ließ und lässt es immer wieder in seinen Unterricht einfließen. Auch eine eigene Kurzgeschichte zum Thema schrieb und veröffentlichte er: „Relikt“ bildet die Titelgeschichte seiner Anthologie „Andererseits“. Als wieder einmal die Wahl einer Mittelstufen-Deutschlektüre anstand, stellte OStR Weese die Verknüpfung her, recherchierte Jugendliteratur zur „General Slocum“ und da gab es tatsächlich etwas: Geistergeschichte! „Teenage Love Story“! Gerichtsdrama! Betrachtung deutsch-amerikanischer Geschichte inklusive des auch damals allgegenwärtigen Antisemitismus… kurz: die perfekte Schullektüre – nur eben nicht auf Deutsch. Der Lehrer entschloss sich, noch ohne Hilfe von KI selbst eine Übersetzung zu erstellen und kontaktierte den Autor, der dem Projekt seinen „Segen“ erteilte und der Schulklasse abschließend für ein faszinierendes Online-Video-Interview zur Verfügung stand.
Nach einer eindrucksvollen Schilderung des Unglücks und seiner Folgen aus Sicht der 15-jährigen Mallory Meer – „die Unerlöste“ aus dem Titel kann als Geist keine Ruhe finden, bis den an dem Unglück Schuldigen Gerechtigkeit widerfährt, und setzt dafür fast buchstäblich Himmel und Hölle in Bewegung – verfolgen Leserinnen und Leser die offizielle gerichtsmedizinische Untersuchung der Stadt New York und eine inoffizielle in Kleindeutschland. Es ist Mallorys erste große Liebe, ihr jüdischer Freund Dustin Brauer, der der Brandstiftung angeklagt ist.
„Die Unerlöste“, im Original alternativ als „The Unresolved“ und „Kiss Me, I‘m Dead“ erschienen, wurde von der Washington Post als eines der zehn besten Kinderbücher des Jahres 2006 eingestuft und vom Sydney Taylor Book Award Committee der Association of Jewish Libraries als „bemerkenswertes Buch für Teenager“ ausgezeichnet, von der Young Adult Library Services Association in die Top Ten für Teens aufgenommen und für einen Cybils-Literaturpreis nominiert.
Das Buch ist als „Self Publishing“-Ausgabe von J.G. Sandoms Cornucopia Press momentan exklusiv bei Amazon erhältlich, und zwar sowohl als E-Book als auch in gedruckter Form.


Über die „Slocum“-Tragödie

New York City, 15. Juni 1904: Die evangelisch-lutherische St.-Markus-Gemeinde im East Village bricht zur „jährlichen Wasserfahrt“ auf, die mit einem traditionellen Picknick auf Long Island enden soll. Für viele der Frauen und Kinder (die Männer sind am Wochentag größtenteils auf der Arbeit) stellt dieser Ausflug eine der wenigen Möglichkeiten dar, dem Lärm, der Hitze und der schlechten Luft der Großstadt zu entgehen. Pastor George Haas hat dafür den schmucken Raddampfer „General Slocum“ unter Kapitän William Van Schaick gechartert.
Mit der Sicherheit an Bord ist es aber trotz einer kürzlich erfolgten Inspektion nicht allzu weit her, und so nehmen tragische Ereignisse ihren Lauf: Als an Bord aus nicht gänzlich geklärter Ursache ein Feuer ausbricht, während sich das Schiff an einer schwierig zu navigierenden Stelle des East River (Hell Gate, „das Tor zur Hölle“) befindet, will der Kapitän wegen Brandgefahr an den Ufern der Großstadt die kleine Quarantäneinsel North Brother Island ansteuern, doch das Notmanöver hilft herzlich Wenigen: Rettungsboote können nicht zu Wasser gelassen werden, weil die Mannschaft mangelhaft ausgebildet und die Technik marode oder verklemmt ist; am schlimmsten sind die Rettungswesten, deren zu Staub zerfallende Korkfüllung sich voll Wasser saugt und die Menschen, statt ihr Leben zu retten, erst recht unter Wasser zieht. Am Ende ertrinken weit über 1000 der Passagiere ohne Schwimmkenntnisse in ihrer schweren Feiertagskleidung.
Auch wenn im Nachgang die meisten Verantwortlichen straflos davonkommen (der alternde Kapitän soll für zehn Jahre ins Zuchthaus, wird aber nach dreien vom Präsidenten begnadigt), führt das Unglück immerhin zu strengeren Sicherheitsvorschriften für Passagierschiffe. Vor allem aber wollen Familienmitglieder nicht ständig an ihre toten Angehörigen erinnert werden, sodass sich New Yorks deutsches Viertel in Folge des Unglücks nach und nach auflöst. Heute bleiben von Kleindeutschland nur noch einige deutsche Schriftzüge auf Gebäuden – und die Gedenksteine und Grabinschriften mit dem Datum „15. Juni 1904“ auf dem Friedhof in Queens.


Links:

Buchtrailer zu „Die Unerlöste“: https://www.youtube.com/watch?v=59gg3YE56uM
Website: http://www.DieUnerlöste.de
Bestellmöglichkeit: https://www.amazon.de/Die-Unerlöste-J-G-Sandom/dp/0997673958
Autorenlesung der Kurzgeschichte „Relikt“: https://www.youtube.com/watch?v=XB_r85rqLSI

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