Ein erwähnenswerter Vormittag
Am 9. 10. 2023 um 10:30 betreten knapp einhundert Schüler der 11. Jahrgangsstufe den Mehrzweckraum des WEG Schwabach, um an der Autorenlesung von Dana Vowinckel teilzunehmen, deren Roman ,,Gewässer im Ziplock“ ebenso Thema der kommenden eineinhalb Stunden sein wird, wie sie
selbst. Nach einem (etwas verfrühten) Lob über das pünktliche Eintreffen der Schüler und einer kurzen Einführung beginnt die eigentliche Veranstaltung.
Dana Vowinckel ist 27 Jahre alt, das jüdische Kind eines Amerikaners und einer Deutschen, hat in den USA Linguistik studiert und mit ihrem ersten Buch ,,Gewässer im Ziplock“ Teile ihrer eigenen Lebenserfahrung verarbeitet, wie wir im Verlauf der folgenden zwei Schulstunden erfahren.
Ergänzt wird die Geschichte durch einige Schicksalsschläge, die ihr selbst hoffentlich nicht widerfahren sind. Darauf folgen noch einige Textausschnitte ihres literarischen Werkes und dann sind knapp 90 Minuten vorbei. Nach der Pause geht die Schule wieder ihren gewohnten Lauf. Das scheint alles zu sein.
Aber jede Geschichte reicht tiefer, als ihr erster Anschein und so ist auch hier noch mehr, was gesagt werden kann. Denn neben den Eckdaten von Danas Leben,lernen wir die Autorin, deren Homepage nur wenig Sätze fasst, auch auf einer persönlicheren Ebene kennen.
Wie sie (hingewiesen von ihrem Deutschlehrer) auf dem Treffen junger Autoren und
Autorinnen in Berlin ihre ersten größeren Erfahrungen im Bereich der Schriftstellerei
machte. Wie sie den Ingeborg-Bachmann-Preis (der von ihr als ,,Germanys next
Topmodell der Autoren“ beschrieben wird) mit einem Text gewann, der schon
damals den Titel ,,Gewässer im Ziplock“ trug. Wie dieser Name eher aus der
hastigen Suche nach einem Titel als einer tieferen Bedeutungen geboren wurde
und wie er über eine Veröffentlichung in einer Zeitung, mehrere Jahre der
Erweiterung und des Ausbaus, sowie der kritischen Beurteilung des Suhrkamp-
Verlages dennoch letztlich die Bezeichnung beibehalten würde, bei der jeder
Deutschlehrer irritiert den Kopf schüttelt.
Nicht ganz zu Unrecht, ist ein Ziplock doch die Bezeichnung für jene Plastiktüten,
mit denen man am Flughafen Lebensmittel verpackt und haben eben diese Tüten
selten die Angewohnheit, Flüsse, Seen, oder Meere zu beherbergen.
Zwischen den Fragen nach dem Leben als Autor (,,Man macht es nicht für das
Geld, sondern für die Liebe zur Literatur“), der Möglichkeit einer Verfilmung (,,Das
wird tatsächlich grade verhandelt. Mein Freund ist sogar Filmemacher, an den
kann ich das abgeben.“), dem Plan weitere Bücher zu schreiben (,,Ich bin
tatsächlich gerade mit dem 1. Kapitel des nächsten Buches fertig“) und dem
Leidwesen einer Autorendasein (,,Vor allem Autorenreisen können schon sehr
anstrengend sein.“) liest die junge Frau auch mehrere Auszüge ihres eigenen
Buches vor.
Die Stellen selbst sind fließend geschrieben, mit einer Zielstrebigkeit, die viele
Eigenschaften auf einige Sätze reduziert und dabei dennoch genug Raum lässt,
um die Lücken selbst zu füllen, welche vom Buch gegeben werden. Die
Einarbeitung des jüdischen Lebenshintergrunds fühlt sich organisch und
nachvollziehbar an, selbst wenn manch einer die Suchmaschine benötigt, um alle
Begriffe zu verstehen. Auch sind einige Gespräche teilweise auf Englisch
geschrieben und obwohl wir vorab wussten, dass das Buch unter anderem in
Chicago spielt, ist das doch etwas Unerwartetes. Oder wie der Engländer sagen
würde: ,,A surprise for sure, but a welcome one.“
Na ja. Zumindest wenn man Englisch spricht. Dann bringen diese Sätze nämlich
eine nette Abwechslung hinein. Und auch wenn die Autorin selbst sagt, dass nicht
hinter jedem Satz eines Buches so viel Arbeit stecke, wie manche Deutschlehrer
gerne vermuten, gelingt es dem Meer in der Plastiktüte innerhalb der kurzen
Ausschnitte dennoch das Gefühl zu erzeugen, dass die darin lebenden Personen
durch Buchstaben auf dem Papier nicht zu vernachlässigende Geschichte zu
erzählen haben.
Denn als zwei Schulstunden später die Türen des Mehrzweckraums wieder öffnen
und die Schüler hinaus in die Pause strömen, so hat sich denen, die zugehört
haben, ein relativ interessantes Blickfeld auf einen Flusslauf am Boden von Frau
Vowinckels eigener Flugzeugtüte eröffnet, dessen Darstellung zwar nicht von allen
gemocht, aber dennoch respektiert werden sollte. Und wer weiß. Vielleicht schreibt
ja einer von uns eines Tages einen Bestseller mit dem Titel ,,Der Querschritt des
Homoioteleuton“, der ganz aus Versehen diesen Namen trägt.